Dem Schicksal ins Getriebe greifen? ‚Soll ich dir was vom Supermarkt mitbringen?‘ Annemarie Wendel, von allen nur Wendy genannt, stand an der Garderobe und sah hinüber zum Fenster. Die Morgensonne hatte den Kampf verloren. Der Himmel sah aus wie schmutziger Schnee. Und das ausgerechnet in der Mittagspause! Wendy griff nach dem Regenschirm im Ständer. Ihre Freundin und Kollegin Janine saß hinter dem Tresen. Ihr Blick klebte am Bildschirm. Nur ihr Blinzeln verriet, dass sie lebendig war. ‚Nein, danke, keinen Hunger.‘ Die Stimme schien aus dem Weltall zu kommen. ‚Was ist los mit dir? Du musst doch etwas essen. Was hältst du davon, wenn ich uns heute Abend zur Abwechslung mal wieder etwas Leckeres koche? Du kommst zu mir, und wir machen es uns gemütlich.‘ Die neue, geblümte Tasche über der Schulter, machte Wendy noch einmal am Tresen Halt. ‚Das haben wir früher so oft gemacht.‘ Endlich hob Janine den Kopf. Ihr Blick sprach Bände. Wendy verdrehte die Augen. Aufbruchsstimmung ‚Das hereditäre Anigioödem wird autosomal dominant vererbt. So werden Erbkrankheiten bezeichnet, die schon bei einem defekten Gen auftreten. Das Risiko für das Kind, die Krankheit in sich zu tragen, beträgt fünfzig zu fünfzig.‘ Obwohl Tatjana diese Worte in- und auswendig kannte, tasteten ihre Finger immer wieder über das dicke Blatt Papier, das auf ihrem Schoß lag. ‚In unseren Untersuchungen konnten wir sehen, dass von 120 betroffenen Kindern neun Kinder bereits im ersten Lebensjahr eine Schwellungsattacke hatten.‘ Sie saß halb aufrecht im Klinikbett und sah hinüber zu Marla. ‚Deshalb glaube ich, dass es besser ist, wie es ist.‘ Auch wenn um diese Uhrzeit in der Bäckerei der Bär im Kettenhemd steppte, hatte Marla Lüders es sich nicht nehmen lassen, ihre Chefin und Freundin in der Klinik zu besuchen. Doch auch hier hatte sie alle Hände voll zu tun. Ihren kleinen Sohn zu bändigen war schwieriger, als einen Sack Flöhe zu hüten. ‚Woher hast du diesen Text?‘, fragte sie abwesend. Gleichzeitig zog sie Fynn auf ihren Schoß zurück und drückte ihm ein Spielzeugauto in die Hand. In hohem Bogen flog es durch die Luft und landete krachend auf dem Boden. ‚Als ich das erste Mal krank geworden bin, hat Danny diesen Artikel aus dem Internet online für mich in Braille übersetzt und über einen speziellen Drucker auf Braillepapier geprägt‘, erwiderte Tatjana. ‚Finger weg, Fynn. Das ist kein Spielzeug.‘ Marla umklammerte die Arme ihres Sohnes, der auf ihrem Schoß stand und nach dem Infusionsschlauch grabschte. ‚So was gibt es?‘
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