Fast die gesamte Reise- und Abenteuerliteratur krankt an Selbstdarstellung ? zu Lasten eines wirklichen Tiefganges. Welche Höhen einer erreicht, wie viele Kilometer er abradelt oder Schnappschüsse er mit nach Haus bringt ? das alles ist vordergründig, sagt wenig aus. Viele reden von Abenteuer und meinen Technik, steigen mit ihren Rädern auf einen Lkw oder in einen Bus, weil?s regnet oder damit?s schneller geht. Einer, der es ganz anders macht und mit ?Weitwinkelaugen? auf Reisen geht, ist ChristianHannig. Er sitzt seit mehr als fünfzig Jahren im Sattel, hat mehrere Erdumrundungen hinter sich. Außer der Antarktis kennt er alle Kontinente, die einsamste Insel, die trockenste Wüste. Sein Zelt stand auf Grönland, aber auch im heißen Sand der Sahara. Mit dem Rad rollte er hinab zum tiefsten Punkt der Erde (dem Toten Meer) ? und schob es über 5000 Meter-Pässe. Er ist so langsam, dass Länder wie ein offenes Bilderbuch vor ihm liegen. Er sieht die Falten in Gesichtern, geschundene Füße, die eher Baumwurzeln gleichen ? und die Kindertränen. Stille ?spricht? zu ihm, Weite umarmt ihn, Horizonte locken. Er fährt Rad, stoppt, hebt einen Stein auf. Es ist ein doppeltes ?Begreifen?. Ein runder Stein ?sagt? ihm: ?Mich rollte das Wasser?, ein eckiger: ?Mich sprengte der Frost?. Reisen nach ?Führern? und ?aufgezeichneten Spuren? sind Hannig fremd. Ihn interessiert nicht das ?Highlight? am Ende eines Trampelpfades, das empfohlen wird. ?Schöne? und gestellte Bilder liegen ihm nicht. Häufig genug ersetzt sein Tagebuch die Kamera. Wer andere ?ablichtet?, dem öffnen sich weder Türen noch Herzen. Sein Credo: ?Mache einen Schritt auf die Menschen zu, und sie werden dir zwei entgegen kommen.? Das ist der Schlüssel zu Erlebnissen, zu denen andere keine Chance hätten und die selbst Kanadier überrascht. Statt Blut-Schweiß- und Tränen-Philosophie lernen wir Rosaleen George kennen, das ?menschliche Archiv? der Skwah-Indianer. Oder den Fluss ?Stolo?, dem Hannig folgt und ?zuhört?, der die Geschichte des Stammes erzählt, die Landnahme der Weißen sah, die ersten Schaufelraddampfer, die erste Eisenbahn und wie die Eindringlinge nach Gold fieberten. Vergeblich sucht man nach ihm auf Karten. Allein die Indianer kennen ihn noch, die Weißen aber maßten sich an, den Fluss umzubenennen. Auch der ?Gold Rush Trail?, auf dem Zehntausende nach gelbem Metall gierten, gibt seine Geheimnisse preis. In der alten Goldgräberstadt Barkerville kleiden sich die Leute weiter nach der Mode von 1880. Ein ?Fuzzy?-Typ lässt auf einer Bühne die alten Zeiten wieder aufleben. Der Friedhof in der Nähe offenbart, wer dem Lockruf des Goldes folgte, zumeist auf der Flucht vor wirtschaftlicher Not. Hunger nicht nur in Russland, in China, Hunger auch in Europa, in Irland, in den Schottischen Highlands trieb die Menschen in den Goldrausch. Auf dem ?Graveyard? von Barkerville heißt es auf vielen Gräbern: ?Departed his life.? Auswanderung mit dem Tod im Gepäck? Ein eindrucksvolles Buch, ohne Blockhaus- und Indianer-Romantik, geschrieben von einem ?Globetrotter?, der nicht belehren will, sondern hofft, selbst besser zu werden im Umgang mit dem Fremden. Ob im Bärenrevier oder im Regenwald der Queen Charlotte Islands, beim Lachsfang der Gitksan im schäumenden Wasser des Bilklay River, bei den Totems von Gitanyow oder bei dem Stamm der Haida ? stets begegnet dem Leser ein Kanada, das man schlechthin für ?nicht möglich? hält.
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