In Japan ist das Verfassen, Hören und Lesen lyrischer Gedichte ein allgemein geübter Brauch, die Verfasser gehören allen Volksschichten an, von den Kaisern bis zum einfachen Bauern oder Handwerker. Da sich die japanische Lyrik seit ihren Anfängen im 8. Jahrhundert nach Christus auf zwei Gedichtformen mit genau vorgeschriebener Zeilen- und Silbenzahl beschränkt – auf den Fünfzeiler ‚Tanka‘ und den Dreizeiler ‚Haiku‘ – haben ihre Aussagen ein Höchstmaß an Präzision und Ausdruckskraft erlangt. Es gibt kein reales Sujet und keine Gefühlsstimmung, die von den Verfassern der japanischen Kurzgeschichten nicht in poetischer Sicht vollkommen deutlich dargestellt werden könnten. Diese Universalität der dichterischen Weltschau bildet einen Hauptvorzug der von Gerolf Coudenhove zusammengestellten Anthologie, der als ordnendes Prinzip die in Japan mit einer besonderen Symbolik verbundene Folge der fünf Jahreszeiten (Neujahr, Frühling, Sommer, Herbst und Winter) zugrunde liegt. Der Herausgeber, de r in seiner Übersetzerarbeit sich nicht, wie sonst meist üblich, mit Transpositionen aus dem Englischen begnügte, sondern stets auf die japanischen Originaltexte zurückging, hat jedem der fünf Abschnitte eine kurze, die besondere Bedeutung der Epoche charakterisierende Einleitung vorangestellt und in einem ausführlicheren Nachwort die Entstehung und das Wesen der japanischen Lyrik allgemein fasslich dargeboten.
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